Der Schutzraum

Gegen Ende des Jahres 2023 schien Gewissheit zu werden, dass allem Hoffen und Wünschen zum Trotz der großflächige Angriffskrieg auf die Ukraine ein zweites Jahr andauern würde. Zeit also, sich Gedanken darüber zu machen, welches Zeichen wir am 24.02.2024 setzen könnten, um an diesen Krieg im Herzen Europas zu erinnern. Zunächst dachten wir daran, einen eilig zusammengezimmerten Kiosk nachzubauen, der für wenige Sekunden in einem Bericht aus der umkämpften Frontstadt Awdijiwka ins Bild gerückt wurde, mit Hilfe dessen die dort noch verbliebenen Einwohner*innen mit ein paar wenigen Dingen des Allerlebensnotwendigen versorgt wurden. Die Idee gewann schnell an Gestaltung, doch nahmen wir schließlich doch wieder Abschied davon, da uns die Vermittlung des Kriegsgeschehens mittels eines solchen „Kiosk“ am Ende als zu komplex erschien.
Mehr noch als ein Kiosk schien uns ein Schutzraum zu verdeutlichen, was für das Leben der Menschen in der Ukraine unerlässlich geworden war. Überall im Land waren zwischenzeitlich, wie zu lesen war, mobile Schutzräume für jene aufgestellt worden, die in ihren Wohnhäusern oder Vierteln im Falle eines Alarms keinen Schutz fanden. Einen solchen „Schutzraum“ (ukrainisch: „Ukryttja“) fanden wir am Rande eines kleinen Wäldchens in der Nähe von Münster, wo dieser als Teil eines Abenteuerspielplatzes platziert worden war. Uns jedenfalls schien dieser verrostete Haufen Eisen direkt aus dem Krieg zu kommen und zugleich auf fast mythische Weise eine symbolische Verbindung zur Ukraine zu verkörpern.

Um die Idee ins Werk zu setzen, noch dazu eine dieses Ausmaßes, brauchte es erneut tatkräftige Unterstützung. Diese fanden wir bei dem Landwirt Georg Schulze-Dieckhoff, der sich sofort begeistert davon zeigte, daran mitzuwirken, einen ausrangierten Silo in ein Kunstwerk höchster Aktualität zu verwandeln. Er war es auch, der das tonnenschwere Monstrum mittels eines Radladers an den von uns dafür ausgewählten Ort brachte, in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Fürstenberg-Statue, die wir bereits im Jahr zuvor mit Sandsäcken ummantelt hatten, um ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen.
Besonders berührt hat uns auch, dass der ukrainische Chor „Tscherwona Kalyna“ unter der Leitung von Svitlana Shurova zur Eröffnung unserer Kunstaktion kam, um mitten aus einer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine heraus Lieder aus ihrer Heimat singen, die dem Anlass einen ganz besonderen Charakter verlieh. Schon am Tag darauf wurde der „Schutzraum“ zu unserer Überraschung von einem Obdachlosen ‚in Besitz‘ genommen, der dort mit seinem wenigen Hab und Gut ein sicheres Nachtlager gefunden zu haben glaubte. Dem öffentlichen Interesse indes tat diese friedliche Okkupation keinen Abbruch. Vielmehr konnten wir beobachten, dass sich die Zaungäste und Besucher*innen des Kunstwerkes sehr interessiert daran zeigten, auch den QR-Code auszulesen, den wir dort angebracht hatten, um sie über uns wie auch über unser Anliegen nicht im Unklaren zu lassen.
Foto von Yaroslav